Ein Vermächtnis der Dankbarkeit

von Ariel Kane

Ein Vermächtnis der Dankbarkeit

Als ich ein Kind war, sprachen wir vor dem Abendessen das Tischgebet. Bei den sonntäglichen Mahlzeiten überließen meine Eltern in der Regel meinem Großvater das Wort, der auf eine eher religiöse Art und Weise dankte und für gewöhnlich mit “Lieber Vater im Himmel…” begann. Während er sprach, hielten wir uns an den Händen und verneigten unsere Köpfe. Ich glaube, dass meine Eltern dieses Ritual in gewisser Weise nur erduldeten, denn meine Großeltern hielten sich an eine ziemlich strenge christliche Lehre, während meine Eltern es nicht taten. An den meisten Tagen bestand unser Tischgebet jedoch aus einer Art einfachem Gedicht. Etwas, das ich auswendig gelernt habe, dass aber schon für mich als junger Mensch einen Sinn hatte und auch bedeutsam war:

Für die Dinge, die wir gerne essen

Für Freude bei Arbeit und beim Spiel

Für Blumen, Regen und Sonne süß

Danken wir heute, oh so viel

Mehr als ein halbes Jahrhundert später lebt dieses Gedicht der Dankbarkeit in mir weiter, eine Art Mantra, das sich in meine Seele eingebrannt hat. Seine Schlichtheit aber trügt – mich beindruckt die Tatsache, dass wir neben anderen Dingen, die Freude an der Arbeit und am Spiel gleichermaßen würdigten.

Für die Feier anlässlich dem 95. Geburtstag meines Vaters bin ich von New Jersey nach Oregon geflogen. Mein Vater war gerade in ein Hospiz gekommen, da seine Demenz fortgeschritten war und sein Gesundheitszustand sich verschlechterte. Meine Schwester Mary war aus dem Raum Seattle angereist, um sich mit mir und meiner ältesten Schwester Cathy zu vereinen. Zusammen mit unserem Vater erlebten wir fröhliche und lustige Momente – aber auch herzzerreißende.

An einem Abend, bevor ich nach Hause zurückkehrte, bereiteten wir drei ein wunderbares Abendessen zu. Dazu gab es einen schön gedeckten Tisch, Blumen und vorgewärmte Teller. Als das Essen serviert war, schlug ich vor, unser Kindheitsgedicht aufzusagen, etwas, dass wir seit Jahrzehnten nicht mehr gemeinsam getan hatten. Wir reichten uns die Hände und sprachen das Tischgebet, und ich genoss die Worte ebenso wie die Gesellschaft meiner Schwestern und das Essen, das noch folgen sollte.

Zu Ehren von:
Don Van Zyl – 14. November 1926 – 17. Mai 2022
Geri Van Zyl – 14. Dezember 1925 – 8. Mai 2019

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