Zitterpappeln

von Ariel

Zitterpappeln

I

Ich habe einmal ein schönes Video von National Geographic über Espen oder Zitterpappeln gesehen. Es zeigte, wie Espenhaine – manchmal bewaldete Hügel, die sich meilenweit hinziehen – nicht aus einzelnen Bäumen bestehen, sondern in Wirklichkeit ein Baum sind und alle ein gemeinsames Wurzelwerk teilen. Es brachte mich dazu, über die Verbundenheit des Lebens nachzudenken, wie ich scheinbar getrennt von meiner Umwelt, aber dennoch Teil des Ganzen bin. Dann hatte ich eine verblüffende persönliche Erfahrung dieser Verbundenheit, die mich buchstäblich bis in die Wurzeln erschütterte.

Es war der zweite Tag einer einwöchigen Angeltour, die mein Mann Shya und ich in der Babine Steelhead Lodge in British Columbia genossen. So wie immer wechselten die Angelführer jeden Tag. An diesem Morgen brachen wir also mit Scott auf: ein neuer Tag. Ein neues Boot. Ein neuer Angelführer. Herrlich.

Es war früh, der Nebel stieg noch vom Wasser auf und bedeckte die Bäume mit einem hauchzarten weißen Dunst. Wir fuhren flussabwärts und es war frisch, ein paar Grad unter dem Gefrierpunkt. Die Weißkopf-Seeadler beehrten uns mit ihrer majestätischen Anwesenheit – erst saßen sie, dann stiegen sie gen Himmel auf und entflohen dem Motorengeräusch in der kühlen Morgenluft.

Nach ca. 20 Minuten erreichten wir den Angelplatz namens „oberes, oberes Huhn“, eine Stelle mit Felsbrocken, umspült von rauschendem Wasser und Schaum und einem wunderbaren schmalen Bereich ungefähr 10-12 Meter raus, wo sich das aufgewirbelte und das ruhige Wasser treffen – der perfekte Ort für eine Stahlkopfforelle.

Das erste, was zu tun war, war meine Hände warm zu pusten, weil sie während der Fahrt flussabwärts kalt geworden waren und meine Finger sich eingefroren fühlten in den Handschuhen, die die Finger nicht bedeckten. Scott band eine „Sylveys Sylvanator“ an das Ende meiner Schnur, ein kleines lilafarbenes Wunder mit einer leuchtend pinken Perle an der Spitze. Ich watete knietief ins Wasser und begann, meine Leine abzurollen als Vorbereitung für das Auswerfen. Wir standen auf der rechten Seite des Flusses, so dass ich die Strömung von links nach rechts fließen sah, und ich begann eine Reihe von Würfen namens „Snap-Ts“. Ich bemerkte schnell, dass meine Würfe „funktionierten“, und war begeistert. Es gibt Zeiten, in denen ich mich wie eine Werferin beim Baseball fühle, deren angeschnittene Bälle nicht klappen oder deren schnelle Würfe nicht an der richtigen Stelle ankommen. Aber an jenem Tag war jeder Wurf langsam, entspannt, präzise – mit einer engen Schlaufe, die sich in die Strömung entfaltete.

Als Scott hinter mir entlang ging, hielt er plötzlich an.

„Bist du Linkshänderin oder sehr begabt?“ fragte er.

„Ich bin Linkshänderin. Das hier ist definitiv meine Seite des Flusses,“ antwortete ich.

„Du hättest sagen sollen, du bist beides – sehr begabt und Linkshänderin,“ sagte er mit einem Lächeln, als er weiter flussabwärts ging, um zu sehen, wie Shya vorankam.

Drei Würfe später begann meine Rolle zu singen: Rrr… Rrr… Rrrrrrr… und ich setzte den Haken. Die Leine surrte schnell von meiner Hardy-Perfect-Rolle und ich nutzte meinen Handballen, um sie zu bremsen. Der Fisch tauchte auf und wandte sich quer zur Strömung und er sah groß aus. Mit breiten Beinen überkam es mich und plötzlich begannen meine Beine zu zittern.

„Wow!“ sagte ich zu Scott, der wieder flussaufwärts gehastet kam mit einem Netz in der Hand. „Ich kann das Adrenalin fühlen. Meine Beine zittern.“

Ich war froh, dass ich in einer stabilen Position stand, mit breiten Beinen, weil ich plötzlich aus erster Hand das alte Klischee erlebte von weichen und wackeligen Knien. Wenn meine Beine dichter beieinander gewesen wären, hätten die Knie sicher aneinander gestoßen.

Ich musste mich selbst daran erinnern, mich zu entspannen, dass ich schon viel größere Fisch gefangen hatte – Fächerfisch, Tarpon, Marlin – aber in dem Moment war ich gefangen in der Aufregung des Tauziehens, wo die Stahlkopfforelle Leine zieht und ich die Leine dann wieder einziehe, und ich war verbunden mit dem Fisch, dem reißenden Fluss, den Espen auf dem anderen Ufer und wir zitterten alle gemeinsam. Ich hoffte inständig, dass die Stahlkopfforelle den Haken nicht ausspucken würde oder ich sie verlieren würde, bevor ich sie an Land ziehen konnte.

Schließlich zog ich den Fisch ein und hob seinen Kopf soweit an, dass Scott ihn mit dem Netz herausheben konnte. Er war eine Schönheit, ein fünfeinhalb-Kilo-Männchen mit scharlachroten Kiemen. Nachdem wir ihn bewundert hatten, entließen wir ihn zurück in den Fluss, wo er den Rest des Winters verbringen würde, bevor es im Frühjahr ans Laichen ging.

Dann trank ich einen schnellen Kaffee, um mich zu beruhigen. Gute Idee, dachte ich. Kaffee, damit ich mit dem Zittern aufhöre!

Kurz darauf, einigermaßen entspannt – dachte ich zumindest – nahm ich meine Rute und begann den Tanz des Auswerfens erneut. Sehr schnell war ich zu hastig und meine Leine verfing sich in der Erle hinter mir – der Köder schmückte jetzt einen kleinen Zweig und leuchtete in der Sonne wie ein verirrtes Stück Weihnachtsbaumschmuck. Ich war wohl doch noch nicht wieder ganz entspannt.

Ich finde, das macht das Angeln am Fluss zu einer Erfahrung der Demut. Mein letzter Wurf, mein letzter Fisch sind egal. Alles, was zählt, ist dieser Moment, dieser Wurf, dieser Schritt.

Ich habe an jenem Tag noch weitere Fische gefangen und wieder freigelassen und einer davon war viel größer als der erste. Aber keiner von ihnen bewirkte dieses besondere Drängen, das unmittelbar meine Verbindung zu allem aufzeigte: zu der Hügelkette hinter mir, den Felsbrocken, die vom Wasser und von der Zeit rund gewaschen worden waren, den dahinsegelnden Adlern, den Wolken und dem Himmel, dem Fisch und den Meilen des gewundenen Flusses, alles scheinbar separate Existenzen, aber doch miteinander verbunden in eins – eine Verbindung, die mich zittern ließ wie Espenlaub.

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