01 Aug Kreativität
Menschen sind von Natur aus kreativ. Wir haben allerdings alles, was sich in unserer Vergangenheit ereignet hat, aufgezeichnet und mit unserem kreativen Prozess in Verbindung gebracht, was zu der irrtümlichen Annahme führt, dass der kreative Prozess selbst ein Ergebnis unseres Kampfes, unserer schmerzlichen Vergangenheit oder unserer ‘Neurosen’ ist. Und sollten wir unsere Neurosen verlieren, würden gleichzeitig unsere künstlerischen Fähigkeiten verloren gehen.
Kürzlich kam eine Frau zu einem unserer Seminare und konnte sich nicht mit der Idee anfreunden, sich von ihrem emotionellen Schmerz zu trennen. Der plötzliche Verlust ihres Mannes war zu einem deutlichen Wendepunkt in ihrem Leben geworden. Die Zeit nach seinem Tod war sehr schmerzhaft, traurig und zu gleicher Zeit kreativ. Durch unglückliche Umstände in ein völlig neues Leben geworfen, fand sich die junge Witwe erstaunlich fähig, zunehmend tatkräftig und sehr lebendig. Ein Jahr später pflegte sie immer noch den Schmerz und die Trauer sowie den neu gefundenen Selbstwert. Sie erklärte, sie habe Angst, dass sie, wenn sie den Schmerz, den Zorn und die Trauer verlöre, damit auch verlöre, was sie im letzten Jahr gewonnen habe. Der schockierende Verlust und der folgende Schmerz haben als Katalysator gewirkt, der ihre Kreativität ausgelöst hat. Ihr Verstand hat alle Aspekte dieses Zeitraums gespeichert, und zu einer einzigen Erfolgsstrategie komprimiert. Als wir sie darin unterstützten, sich dies einmal anzusehen, entdeckte sie, dass sie nun bereit und willens war, ihre Kreativität ohne den Schmerz zu erleben.
Durch Bewusstheit kannst du Aspekte deiner Verhaltensweisen zum Schmelzen bringen, die nicht wirklich die Ergebnisse bringen, die du dir wünschst, und so den kreativen Prozess konzentrieren. Das Wort “hungernd” muss nicht mehr mit Künstler assoziiert werden. Schmerz und Neurosen müssen nicht mehr die Begleiter von Kreativität sein.
Unsere Kreativität wird durch vergangene Entscheidungen, die wir über unsere eigenen kreativen Fähigkeiten gemacht haben, beeinflusst. Sagen wir zum Beispiel, als du aufwuchst, hast du in der Schule keine guten Aufsätze geschrieben. Vielleicht hast du eines Tages einen Aufsatz zurückbekommen und es stand in rot “5” darunter, mit dem Zusatz „unter dem Durchschnitt“. Das Gehirn speichert die physischen Empfindungen, die mit der Note einhergehen und außerdem eine Aussage, die etwa lautet “Ich bin nicht gut im Schreiben. Was ich mach ist unterdurchschnittlich.” Diese Aufnahme kann jederzeit wieder von neuem abgespielt werden, wenn du ein neues Schriftstück erstellst. Die Aussage mag richtig gewesen sein, als du zur Schule gingst, aber vielleicht trifft sie für den Erwachsenen, der du jetzt bist, nicht mehr zu. Das Problem ist, dass jedes Mal, wenn du dich hinsetzt, um etwas zu kreieren, die alte Aufnahme “Ich bin nicht gut im Schreiben. Was ich mach ist unterdurchschnittlich” zwischen dich und die unbeschriebene Seite kommen kann.
Ein anderer Faktor, der den kreativen Prozess behindert, ist unser eigener, innerer Kritiker, unser Selbst-Kontrolleur. So ist es zum Beispiel sinnvoll, sich einen verfassten Text noch einmal auf Inhalt, Satzstellung, Grammatik, Rechtsschreibung, usw. anzuschauen, aber der Zeitpunkt ist entscheidend. Viele Leute wenden den Prozess des Wertens und Bewertens bereits an, während ihre Arbeit noch im Entstehen ist. Das blockiert den Fluss, stoppt die Kontinuität und erlaubt es Gedanken nicht, zum Abschluss zu kommen, weil der Satz, der Absatz oder die Idee bereits geändert werden, während sie noch im Entstehen sind.
Das Wörterbuch definiert “kreieren” als etwas zum Entstehen bringen, etwas zum Leben erwecken, machen, ursprünglich erschaffen. Ob du ein Künstler bist, der mit seinen Händen arbeitet, Farben auf die Leinwand bringt, Musik schreibt, oder auf der Bühne steht und einer Rolle Leben einhaucht – es ist wichtig, ein Detail zu berücksichtigen. Der kreative Prozess ist wie die Schwangerschaft für ein Kind, von dem man hofft, dass es gesund geboren wird. Ein kleines bisschen Gift kann einen großen Einfluss auf die Gesundheit des Kindes nehmen. Unsere Selbsturteile wirken wie Gift. Wenn du deine Fähigkeit, kreativ zu sein, erweitern willst, dann übe dich darin, freundlich zu dir selbst zu sein. Im Gegensatz zu dem, was einige denken, führt Selbstkritik und Härte gegenüber sich selbst nicht zu besserer Arbeitsqualität. Wenn du nicht vehement deine Fehler beklagst, dann wirst du nicht plötzlich gleichgültig und lässt deine Arbeit schleifen. Statt dessen fühlst du dich vielleicht ermutigt, größere Risiken einzugehen – und beobachtest, wie etwas, das aus der Sichtweise der Werturteile deines Gehirns wie ein Fehler aussieht, sich in etwas Glänzendes und Neues verwandelt, an das noch nie jemand zuvor auch nur gedacht hatte.
Wenn man wirklich kreiert, befindet man sich im Hier und Jetzt und setzt sich direkt mit seiner Umwelt auseinander. Nicht durch einen Filter von Gedanken. Nicht durch die eigene persönliche Biografie. Es ist ein direkter Ausdruck des Seins.