01 Dec Ein Moment in der Zeit
„Ein Moment in der Zeit“, ist ein Auszug aus „Being Here…Too“, Kurzgeschichten moderner Erleuchtung, Ariel & Shya Kane
Hol dir dein Exemplar von Being Here…Too
Mein Bruder Brian wurde anderthalb Jahre nach mir geboren. Meine Mami erzählte mir, als sie ihn vom Hospital nach Hause brachte dachte ich, er sei ein Geschenk für mich. Als wir aufwuchsen schien es, als ob Brian wusste wie alles getan werden musste, ohne jedwede Hilfe oder Training. Ich fragte ihn, „Wie machst du das?“ Ich war beeindruckt und neidisch darauf, dass ihm die Dinge scheinbar so mühelos in den Schoß vielen, so dachte ich.
Jahre später als ich meinen Universitätsabschluss gemacht hatte, fand ich einen Job in New York City. Mein Bruder bot mir an, mich und meine Sachen von unserem Zuhause in Rochester, New York zu meinem neuen Apartment in Jersey City, New Jersey zu fahren. Wir packten seinen SUV bis an die Kiemen und los ging’s. Auf unserem Weg dorthin benutzten wir eine gute altmodische Straßenkarte, denn dies war, bevor es Handys und Google Maps gab. Wir verbrachten das Wochenende damit, das Apartment einzurichten und unternahmen einen kurzen Streifzug nach Manhattan um die Gegend zu erkunden. Die Tage flogen vorbei und es kam die Zeit für ihn, zurück zu fahren. Wir umarmten uns zum Abschied und er fuhr davon, dem Horizont entgegen. Während ich zusah, wie sein Auto kleiner und kleiner wurde, rollten mir Tränen die Wangen herab.
Das Leben schritt voran, und Brian und ich entfernten uns voneinander. Ich hielt immer noch an meinem Glauben fest, dass wir eines Tages wieder super eng miteinander sein würden, denn so dachte ich, sollte es sein. Ich dachte, so funktioniert das Leben. Aber Brian fing an Drogen zu nehmen. Als seine Abhängigkeit stärker wurde, wurde der Ozean zwischen uns immer größer. Er bekam Hilfe, aber es war ein Kampf und er rutschte regelmäßig zurück in seine alten Angewohnheiten. Ich hatte in mir viele Werturteile gegen ihn, aber die waren schon gewachsen, lang bevor er anfing Drogen zu nehmen.
Irgendwann entdeckte ich eine völlig neue Perspektive in Bezug auf meinen Bruder und auf mein Leben, als eine Kollegin mich zu einer von Ariel & Shya Kanes Abendveranstaltungen in New York City einlud. Bald darauf nahm ich an einem Wochenendseminar von ihnen teil und begann, meine Beziehungen mit neuen Augen zu betrachten. Es war keine bewusste Entscheidung, aber meine Perspektive hatte sich einfach gewandelt. Als Kind hatte ich die Entscheidung getroffen, nicht so zu werden wie meine Familie. Ich begann zu sehen, dass ich mich und meine Familie als nicht gut genug betrachtete. Ich hatte Vorstellungen davon, wie eine „gute Familie“ auszusehen hatte, es ging bis hin dazu, wie eine gute Familie Weihnachten feiern sollte. In der Vergangenheit saß ich zuhause und tat mir selbst leid, wenn die Zeremonie nicht meinem Standard entsprach.
Dann an einem Dezember, hatte ich eine spontane Erfahrung davon, wie sich mein Leben transformiert hatte. Ich war nach Rochester geflogen, um mit meiner Familie Weihnachten zu feiern und entdeckte rasch, dass niemand Pläne gemacht hatte, um dieses Familientreffen zu arrangieren. Anstatt in diesen vertrauten Zustand zu fallen, mir selbst leid zu tun, wurde mir klar, dass ich etwas planen könnte. Dies war eine neuartige Idee, und ich wurde ganz freudig aufgeregt bei der Vorstellung, Gastgeber für Weihnachten zu sein.
Meine Schwester erlaubte mir, alle an einem verschneiten Dezemberabend in ihr Haus einzuladen. Ich bereitete all meine Lieblingsgerichte zu – Käsemakkaroni und Käse, sahniger Blumenkohlkartoffelbrei und ein großer grüner Salat. Holly rundete es ab mit einem frisch gebackenen Apfelkuchen. Meine Mutter brachte die glasierten Buttermilch-Weihnachtskekse, die sie jedes Jahr backte. Jeder war glücklich etwas beizusteuern. Hmm, vielleicht war meine Familie am Ende gar nicht so ein hoffnungsloser Fall.
Früh am Tag hatten meine Schwester und ich für jeden Geschenke gekauft, auch ein Schachspiel, von dem ich dachte, mein Bruder würde es lieben. Brian war ein ziemlich guter Schachspieler und liebte dieses Spiel. Die Türklingel läutete und ich begrüßte meine Mutter und meinen Bruder an der Tür. Es war, als ob die Zeit still stand. Ich schaute in die Augen meines Bruders und sah, dass ich eine Wahl hatte. Ich konnte meine Werturteile fallen lassen und meinem Bruder begegnen, als wäre es das erste Mal, oder ich konnte an vergangenem Kummer festhalten. In einem Sekundenbruchteil wählte ich, die Vergangenheit los zu lassen. Ich sah das Aufleuchten in den Augen meines Bruders, als ich mich nach ihm ausstreckte um ihn zu umarmen, und ich fühlte, wie die Mauer zwischen uns zerbröselte. Selbst der Klang seines Namens war süß und ich war froh und aufgeregt, dass er da war.
Der Abend flog vorbei. Nach dem Abendessen tauschten wir Geschenke aus. Ich fühlte mich satt und glücklich. Mir wurde klar, das Bild in meinem Kopf, wie man Weihnachten zu feiern hat, war die Vorstellung eines Kindes, und ich bevorzugte die Art und Weise, wie es sich in der Realität entfaltet hatte.
Mein Flug zurück nach New York City war für Sonntagabend gebucht, und zu einer Überraschung gesellte sich Brian zu mir und meiner Mutter auf der Fahrt zum Flughafen. Als wir ankamen stellte ich fest, dass der Flug Verspätung hatte. Ich lud sie ein, mit mir in den Flughafen zu gehen und mit mir zu warten. Das hatte ich zuvor noch nie getan. Gewöhnlich konnte ich es kaum erwarten, aus Rochester weg zukommen, aber diesmal war es anders. Wir saßen im Dunkin’ Donuts, schlürften Kaffee und aßen Muffins, und lachten über alberne Witze. Es war ein großer Spaß und die Albernheit war süß und intim. Als mein Flug zum Abflug bereit war, sagten wir uns Auf Wiedersehen und ich hatte ein großes Grinsen im Gesicht auf meinem Weg zum Gate.
Wenige Tage nachdem das neue Jahr begonnen hatte, bekam ich einen Anruf mitten in der Nacht. Mein Bruder Brian hatte eine Überdosis Heroin genommen und sein Herz stand still. Er starb später in dieser Nacht und ich war unter Schock. Ich konnte nicht glauben, dass wir noch vor wenigen Tagen, den tiefsten und freundlichsten Umgang seit Jahren miteinander gehabt hatten. Es war, als ob ich meinen kleinen Bruder wiedergefunden hatte, nur um ihn wieder zu verlieren.
Ich vermisse meinen Bruder, aber ich werde ewig dankbar sein für die Zeit, die wir an diesem Weihnachten miteinander verbringen durften. Ich bin dankbar, dass ich die Vergangenheit los lassen konnte und entdeckt hatte, wer Brian wirklich war, während er noch lebte.
Dies ist ein Auszug aus „Bein Here…Too“, jetzt erhältlich auf Amazon und überall wo es Bücher gibt.