01 Jan Die Feder
Ich bewahre in meinem Brillenetui eine Feder auf. Früher hatte ich eine kleine Daunenfeder von einem Weißkopfseeadler, aber die flog irgendwann davon, ohne dass ich es bemerkte. Bevor sie sich verabschiedete hatte ich sie anderthalb Jahre wie einen Schatz gehütet. Ich schätze, sie war bereit für ein neues Zuhause in der südlichen Hemisphäre, denn zuletzt sah ich sie in Argentinien. Das ist in Ordnung. Ich habe jetzt eine neue.
Ich fand den Ersatz, als ich mich auf der Jagd nach abgeworfenen Federn befand, unter dem Nest eines Mönchsittichs bei einer Angler-Lodge in einem argentinischen Reservat. Mönchsittiche sind lärmende, soziale Geschöpfe grüngraue Vögel, die in Kolonien nisten. Während wir dort waren, suchte ich täglich nach abgeworfenem Gefieder und fühlte mich wie Ferkel oder Puuh aus Winnie Puuh, während ich Runde um Runde drehte um die Füße der Bäume herum, auf der Suche nach blaugrauen oder grünfedrigen Juwelen am Boden.
Als ich eines Morgens dem Baum umrundete, tauchte ein unerwarteter Fund auf – eine Feder mit einer Färbung, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. An der Basis war sie hauptsächlich braun, mit cremefarbenen Wellen an den Außenseiten, der Federkiel selbst war in leuchtendem Zitronengelb. Es fachte meine Vorstellungskraft an, sie mir beim Flügelschlagen vorzustellen. Später am Tag verstaute ich die Feder in meinem Etui, und bot meiner Brille an, sich darin einzunisten. Jedes Mal wenn ich meine Brille heraushole oder wegpacke, ist diese wellige Schönheit eine einfache Erinnerung an die Welt in ihrer Gesamtheit. Denn es ist einfach zu leicht, in der Fantasie von Büchern verloren zu gehen, oder ins bodenlose Loch von Facebook hineinzurutschen und die greifbaren Dinge zu vergessen. Sie ist auch eine freundliche Erinnerung an das Hier Sein, an Being Here.
Meine Brille ist zerbrechlich und ihr leichter Titanrahmen kann leicht aus der Form verbogen werden, wenn man grob mit ihr umgeht oder sie unachtsam in ihr Etui packt. Aber wenn ich da bin, um die Zartheit des einzelnen Augenblicks zu bewundern wenn ich sie wegpacke oder wenn ich sie öffne, um sie zu benutzen, dann beschädige ich auch nicht die Seiten meiner Feder.
Die Ränder meines Lebens fransen so leicht aus, wenn ich nicht anwesend bin in meinen Händen oder wenn meine Augen abschweifen, dahin wohin ich gehe, und missachten, wo ich bin.
Mein kleiner fedriger Schatz ist eine simple Gedächtnisstütze für die exquisite Natur des Augenblicks, wenn ich dafür da bin.