Die aufrechte Zone

von Ariel Kane

Die aufrechte Zone

Als ich die erste Idee für diesen Artikel hatte, dachte ich noch, es würde sich hauptsächlich darum drehen, was mir aufgefallen ist an meinem Körper, wenn ich spazieren gehe. Jetzt sehe ich, dass die Beobachtungen, die ich teilen möchte, viel tiefer gehen. Lasst uns also mit der einfacheren Version dieses Artikels beginnen und dann weitersehen.

Anfang 2018 waren Shya und ich in Costa Rica, um dort unseren Intensivkurs für Kommunikation, Führung und Wohlbefinden zu geben. Dort habe ich etwas erlebt, was ich jetzt die „aufrechte Zone“ nenne. Folgendes ist passiert:

Eines Morgens, als wir vor dem Frühstück spazieren gingen, war ich etwas steif – meine Schritte waren etwas kürzer als sonst, eine meiner Kniesehnen tat weh. Shya fühlte sich auch nicht besonders agil, aber wir brachen auf unseren Morgenspaziergang so wie immer auf, als ob es unsere Idee war (was auch stimmte), und gingen bewusst zügig – ein hervorragender Weg, die „Ich will aber nicht“-Gedanken zu umgehen. Shya und ich waren mit uns und unserer Geschwindigkeit geduldig, engagierten uns aber gleichzeitig im Moment und bewegten uns, als ob wir vollständig lebendig seien, nicht gerade erst aufgestanden. So begannen unsere Beine, freier zu schwingen und unser Schritt wurde länger. Ganz natürlich, ohne Anstrengung, begannen wir in einem lebhaften Tempo zu gehen.

An diesem speziellen Morgen gingen wir an der Rezeption vorbei über den Parkplatz, an den Gänsen im Teich vorbei über die Hängebrücke. Die Einfahrt entlang gingen wir weiter ca. 800 Meter zum Eingang des Grundstücks, tippten einmal das Tor an und drehten um. Während wir gingen, genoss ich den morgendlichen Himmel, der immer heller wurde und an dem kleine pfirsichfarbene Wolkenfetzen von der aufgehenden Sonne golden angestrahlt wurden. Wir erfreuten uns an den Blumen, am Spiel des Lichts auf großen grünen Blättern und dem Aufblitzen von leuchtendem Rot inmitten vom nachtschwarzen Gefieder eines Passerinitangars, eines Sperlings.

Nachdem wir das Ende der Einfahrt erreicht hatten und umgedreht waren, fiel mir ein Phänomen auf, das ich schon vorher mal bemerkt hatte, aber diesmal war es ziemlich auffällig. Während ich ging, zog sich mein Bauch von selbst ein und ich fühlte mich selbst größer werden und in einer überraschend aufrechten Haltung gehen. Ich strecke normalerweise beim Gehen den Bauch nicht besonders hervor, insofern war es für mich auffällig, dass meine Rumpfmuskulatur so angespannt war, wie ich es sonst vom bewussten Bauch-Einziehen beim Pilates oder ähnlichem kenne. In diesem Stadium fühlte ich mich wohl und kraftvoll, nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Nachdem ich das Gefühl Shya an dem Morgen beschrieb, begann ich, von diesem Stadium als meiner persönlichen „aufrechten Zone“ zu denken.

Ich mag dieses Gefühl der Größe. Ich genieße es, mich so durch Raum und Zeit zu bewegen, als ob ich nirgendwo hingehe und doch vollständig engagiert, lebendig und präsent bin. Ich finde Vergnügen daran, zielstrebig und doch mit Leichtigkeit zu gehen. Und es ist wunderbar, die Rumpfmuskulatur zu trainieren, ohne sich dafür extra anzustrengen.

Bei unseren morgendlichen Spaziergängen in Costa Rica treten Shya und ich aus der Tür und tricksen unsere Körper in Aktion, ob wir uns danach fühlen oder nicht. Egal ob müde oder wach, wir spielen uns selbst vor, voll engagiert zu sein, bis unsere Körper übernehmen und es keiner weiteren Anstrengung bedarf, in Bewegung zu bleiben.

Ursprünglich war dies meine Aussage und damit das Ende der Geschichte. Aber ich wurde selbst überrascht von der „aufrechten Zone“ auf einer späteren Reise nach Oregon, wo ich meine alternden Eltern besuchte.

Ende 2018, direkt bevor Shya und ich nach Oregon flogen, hatte mein Vater (damals 92 Jahre alt) eine Notoperation, um einen großen Nierenstein zu entfernen. Zum Glück konnten meine beiden Schwestern ihn und meine 93-jährige Mutter unterstützen. Mein Vater leidet an so schwerer Demenz, dass er nicht verstand, dass er im Krankenhaus war, erst recht nicht, dass er eine OP gehabt hatte.

Als wir in Oregon ankamen, war mein Vater gerade nach Hause entlassen worden und alle waren erschöpft. Aber nun gab es Komplikationen. Er bekam nachts Durchfall, was erforderte, dass wir ihn mehrfach umkleiden mussten. Während der zweiten Nacht seiner Erkrankung war ich an der Reihe, nahebei zu schlafen und für die Herausforderungen der Nacht bereit zu stehen. Um 23 Uhr und dann noch einmal um 2:30 Uhr wurde ich geweckt und half ihm im Bad. Jedes Mal musste er gesäubert und umgezogen werden sowie das Bad geputzt und desinfiziert. Dann, als er um 4:15 Uhr morgens erneut Durchfall hatte, passierte etwas unglaubliches – ich betrat plötzlich die „aufrechte Zone“.

Während ich den Flur entlang ging in diesen frühen Morgenstunden, fühlte ich mich ganz plötzlich voll engagiert – Körper, Geist und Seele. Die „aufrechte Zone“ übernahm und von einem Schritt auf den nächsten war ich groß und kraftvoll und begegnete der Situation, als ob es meine Idee, meine Vorliebe wäre – mit zielgerichtetem Schritt, als ob ich mich darauf freuen würde, was vor mir lag.

Als ich um die Ecke ins Bad kam, erinnerte ich mich an eine Redewendung, die ich von anderen in schwierigen oder stressigen Zeiten gehört hatte: „Jetzt reiß dich mal zusammen!“ Aber dieser Ausspruch impliziert immer Schmerz, Leiden und Anstrengung, kein Opfer mehr zu sein. Mir wurde klar, dass ich eine transformative Version des Zusammenreißens erlebte – kein Schmerz, kein Opferstatus, nur Stärke. Die „aufrechte Zone“ trat ganz natürlich auf und folgte nicht einem selbstauferlegten Befehl, über den Moment hinwegzukommen und es auf die Reihe zu bekommen – was auch immer Abstoßendes das „es“ sein mag.

Ich bin dankbar, dass ich beim Spiel des völligen Engagements mitspiele, auch in Zeiten, in denen das Leben einfach und anspruchslos erscheint. Das macht Dinge so viel leichter während der Herausforderungen des Lebens und wenn die Umstände potenziell stressig werden.

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