Deinen wahren Herzenswunsch entdecken

Deinen wahren Herzenswunsch entdecken

Ein Auszug aus SEIN – Die Kraft des Augenblicks

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Als Shya und ich zum ersten Mal als Vortragsredner für eine Earth Conference nach Bali in Indonesien reisten, trafen wir eines Tages Oka, scheinbar zufällig. Unser Tourenbus hatte am Wohnsitz eines berühmten Masken-Skulpteurs in dem kleinen Holzschnitzer-Dorf Mas angehalten. Shya und ich waren von der Ausstellung lange vor unseren Mitreisenden ermüdet, und wir entschlossen uns dazu, ins Nebenhaus zu gehen, um uns etwas die Zeit zu vertreiben und zu sehen, was der Nachbarladen anzubieten hatte. Damit begann eine angenehme nachmittägliche Zerstreuung, die radikal die Form unseres Lebens veränderte.

Auf unserem Weg in die Tiefen der angrenzenden Galerie wurde unsere Aufmerksamkeit gefangen genommen durch den Anblick von Figuren in einer kleinen Glasvitrine; es handelte sich dabei um exquisite kleine Schnitzereien aus Sandelholz. Als wir die Glastür öffneten, wehte uns der starke Duft des Holzes zur Begrüßung entgegen. Shya nahm eine kleine makellose Schnitzarbeit eines Buddha-Kopfes mit dem Ausdruck von heiterer Gelassenheit in die Hand. Die Gesichtszüge wirkten friedlich und lebendig – fast so, als könnte der Buddha seine Augen öffnen und zu uns sprechen. Als Shya die kleine Statue in der Hand hielt, sagte ein junger Mann, der an der Wand gelehnt hatte, ruhig: „Oh bitte, wenn Sie ihn kaufen, dann halten Sie ihn von der Sonne fern. Ich habe fast zwei Wochen gebraucht, um ihn zu schnitzen.“

Der Typ mit der sanften Stimme, der einen abgetragenen Sarong und ein weißes T-Shirt trug, war I. B. Oka, ein Holzschnitzer in der zwölften Generation. Oka stammte aus einer langen Geschlechterlinie von Hindu-Priestern und weißen Magiern, doch das wussten wir damals noch nicht. Wir wussten nur, dass dieser faszinierende Bursche mit seinem Kopf voller pechschwarzer Haare viel zu jung und seinem Wesen nach viel zu wenig imposant dafür war, um eine derartige Meisterschaft in der Holzbearbeitung erlangt zu haben.

Es war etwas an Okas Arbeit, das mir den Atem nahm und gleichzeitig an mein Herz rührte. Ich schätzte die Einfachheit seiner Formgebung und seines Stils. Zögernd und mit Ehrerbietung stellten wir den Buddha-Kopf in seine Vitrine zurück, damit wir einen Rundgang machen und sehen konnten, welche sonstigen erlesenen Fundstücke sich noch in anderen Teilen der Galerie befanden. Als wir durch die nächsten paar Räume gingen und eine Maske hier und eine Statue dort bewunderten, stellten wir fest, dass die meisten Stücke, die uns ansprachen, von Oka selbst gefertigt worden waren, obwohl auch Werke von vielen Kunsthandwerkern an den Wänden hingen.

Als wir unseren Weg durch die Galerie fortsetzten, den Anblick in uns aufsogen und in kleinen Schlucken kaltes Wasser tranken, das Oka uns angeboten hatte, stießen wir auf eine außergewöhnliche Schnitzarbeit, ein „Breyut“. In Bali wird jedes Elternpaar, das vier oder mehr Kinder hat, Breyut genannt. Paare, die keine Kinder bekommen können, werden sich eine Breyut-Statue – als Sinnbild für Reichtum und Fruchtbarkeit – aussuchen und ihr Opfergaben darbringen. Sie werden dort um ein Kind beten. Die Statue vor uns war aus der Grundform eines Hibiskusbaumes geschnitzt worden. Aus dem festen Holzkern bis hin zu den Wurzelfasern kamen eine Mutter, ein Vater, ihr Erstgeborenes und fünfzehn weitere Kinder hervor. Die Figuren schienen in Blumen zu ruhen oder aus Flammen hervorzuwachsen. Die Kinder waren alle mit fast keinen Gesichtszügen und großen spatelförmigen Fingern geschnitzt, so als würden sie darauf warten, von den Seelen, die sie bewohnen sollten, geformt zu werden.

Oka stand neben uns und sagte mit ruhiger Stimme: „Über ein Jahr lang habe ich jede Nacht an diesem Holzstück geschnitzt. Meine Familie dachte, ich wäre verrückt, so viel Zeit mit etwas zu verbringen, das nie verkauft werden würde, aber ich musste es tun. Es gibt schon in anderen Dörfern Breyuts von mir, die dabei geholfen haben, den Dorfbewohnern Kinder zu schenken.“

Ich musste die Köpfe der Babys berühren und die Flammen mit meinen Fingern nachzeichnen. Die Oberfläche war dermaßen glatt. Aus keinem ersichtlichen Grund begann ich zu weinen. Ich hatte davon gehört, zu Tränen gerührt zu sein, aber seit meiner Jugend hatte ich nicht mehr die Art von Inspiration verspürt, die ich in der Nähe dieser Schnitzerei spürte.

Es war Zeit, zu unserer Ausflugstour zurückzukehren. Widerstrebend verließ ich das innere Heiligtum der Galerie. Wir gaben Oka die Hand und bedankten uns bei ihm für die Zeit, die er uns geschenkt hatte.

Später in dieser Nacht träumte ich von dem Breyut. Am nächsten Morgen, zwischen Wachen und Träumen, rollte ich mich auf die Seite, während Visionen des Breyut sacht an meinem geistigen Auge vorbeischwebten. Ich bemerkte nicht, dass auch Shya wach war, bis er sagte: „Okay, Ariel, wir gehen zurück und holen es. Ich wusste, dass wir hier ein Geburtstagsgeschenk für dich finden würden. Ich hatte bloß nicht die geringste Ahnung, dass es eine 1,20 Meter große Statue sein würde.“

Wir mieteten ein Auto und fuhren am nächsten Tag nach Mas zurück; der Breyut zog uns magnetisch an. Im hinteren Teil der Galerie herumschlendernd, führten Shya und Oka ein Gespräch.

„Meine Frau hat sich in eine Ihrer Statuen verliebt, Oka, und ich hoffe, wir können sie uns leisten,“

„Welche?“, lautete die sanfte Erwiderung.

Shya stand vor dem Meisterwerk. „Diese hier, Ihr Breyut.“

Oka schüttelte den Kopf und sagte: „Es tut mir leid. Sie ist unverkäuflich.“

Mein Herz sank, aber ohne mit der Wimper zu zucken, schaute Shya ihm in die Augen und sagte: „Nun, wenn sie verkäuflich wäre, wie viel würde sie dann kosten?“

Dunkle prüfende Augen erwiderten seinen Blick, so als wollte Oka den Mann vor ihm einschätzen. Wenn wir das Breyut kauften, würden wir diesen Kindern aus seiner inspirierten Hand ein gutes Zuhause geben, oder waren wir einfach ausländische Händler, die Profit machen wollten, indem sie seine Kunst weiterverkauften? Schließlich nannte Oka seinen Preis und wir wurden uns einig.

Wir vereinbarten, ihm das Geld in ein paar Tagen zu bringen, wenn wir eine weitere Pause bei unserer Konferenz hatten, und er erklärte sich dazu bereit, eine Lattenkiste zu bauen und unser Kleinod zu verpacken. Ich war begeistert. Als wir aufbrachen, blickte Oka mich an.

„Wenn du zurückkommst, Ariel, werde ich ein Geschenk für dich haben, einen winzigen Buddha aus Sandelholz, so groß“, sagte er und zeigte die Größe der Spitze seines Zeigefingers. „Er wird in einem Kästchen aus Ebenholz sitzen, das wie eine geschlossene Lotosblüte aussieht. Wenn du die Blume öffnest, wird der Buddha im Innern sitzen.“

Am Tag, als wir zum Bezahlen zurückkamen, stand Oka zu seinem Wort. Als er meine Hand um den Lotos aus Ebenholz legte, in dem der kleine Kerl aus Sandelholz verborgen war, bekam seine Stimme einen ernsten Ton.

„Ariel, wenn du das heute Nacht an dein Bett stellst, wird der Buddha in deinen Träumen zu dir kommen.“

Ja, ganz bestimmt, dachte ich. Doch ich lächelte, als ich mich bei ihm für das Geschenk bedankte, um ihn nicht zu kränken.

Trotz meiner unmittelbaren zynischen Reaktion auf Okas Vorschlag war ich an diesem Tag wie ein Kind mit einem neuen Spielzeug. Ich würde monatelang warten müssen, bis mein Breyut daheim in Amerika ankam, aber ich hatte eine kleine spürbare Erinnerung an seine Großartigkeit, die sich in dem Lotos in meine Hand schmiegte. Immer wieder während des Nachmittags öffnete ich die hölzerne Blume, um den verborgenen Schatz zu finden, der mich darin in ruhiger Heiterkeit erwartete.

An diesem Abend, ehe wir schlafen gingen, stellte ich den Buddha neben mein Bett. Bald hatte ich einen Traum:

Es war Nacht und ich stand am Rande einer Minigolfanlage, mit einem Putter in der Hand. Neben mir stand ein kleiner Junge mit blondem Haar, der zu mir hochblickte und sagte: „Komm, Ariel! Gehen wir zusammen Putt-Putt-Golf spielen.“

„Okay“, entgegnete ich, „aber weißt du, ich kann das nicht besonders gut.“

Genau in diesem Augenblick hörte ich eine vertraute sanfte Stimme: „Entschuldige bitte, aber du weißt, dass das nicht stimmt. Du bist sehr gut bei allem, was dir Freude macht.“

Als ich aufblickte, sah ich Oka. Im Gleichgewicht seiner offenen Handfläche stand der geöffnete Lotos aus Ebenholz und natürlich der Buddha. Ich wusste jetzt, dass ich träumte, aber das Gefühl des Golfschlägers in meiner Hand und das helle Grün des Kunstrasens auf den Übungsflächen für das Putten schienen sehr real zu sein.

Als ich früh am nächsten Morgen erwachte, blieb der Traum lebendig. So einfach wie er war, führte er doch einen tiefgreifenden Wandel bei mir herbei. Als ich dort im Halbdunkel unseres Zimmers lag, wurde mir bewusst, dass Shya friedlich neben mir schlummerte; seine tiefen und gleichmäßigen Atemzüge bildeten die Hintergrundmusik zu meinen träumerischen Betrachtungen.

Die Botschaft meines Traumes wiederholte sich noch einmal in meinem Kopf: „Entschuldige bitte, aber du weißt, dass das nicht stimmt. Du bist sehr gut bei allem, was dir Freude macht.“ Verschiedene Szenen aus meiner Kindheit und dann aus meinem noch nicht so lange vergangenen Leben spielten sich wie ein Video ab. Zurückliegende Ereignisse sortierten und ordneten sich neu, während ich dabei zuschaute.

Es gab Aktivitäten, Projekte und Sportarten. Es gab die Bemühungen, die ich für Fehlschläge gehalten hatte. An andere Vignetten erinnerte ich mich als Triumphe und manche von ihnen fielen durch. Aber irgendwo inmitten all dieser Erfahrungen, die ich stets als Erfolge oder Fehlschläge beurteilt hatte, existierte die Wahrheit, dass ich in allem, was von meinem Herzen inspiriert und Ausdruck meines wahren Selbst war, versiert geworden war und mich vervollkommnet hatte. Mir wurde auch klar, dass andere Beziehungen und Leidenschaften nicht deshalb allmählich versickerten, weil ich nicht gut darin war, sondern weil sie nicht Teil meines wahren Herzenswunsches waren.

Einzelne Momente in der Zeit waren wie Perlen aneinandergereiht, die alle zu diesem Augenblick führten. Ich spürte ein Gefühl von Vollkommenheit und tiefer Entspannung. Als ich an diesem Morgen wieder in den Schlaf zurückglitt, war mein Gesicht ein Spiegel der Minifigur, die auf meinem Nachtisch saß.

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