Die Freundlichkeit von Fremden

Von Shya Kane

Die Freundlichkeit von Fremden

Hast du jemals darüber nachgedacht, was für eine Auswirkung ein einfacher Akt der Freundlichkeit haben kann? Wie das Großzügigsein Wellen schlägt, die sich durch die Zeit bewegen und das Leben eines Menschen für immer verändern können? Ein junger Mann und sein Freund waren unglaublich freundlich zu meiner Frau Ariel und mir, und unser Leben war nie wieder wie zuvor. Genaugenommen war seine spontane Bereitschaft, so großzügig mit seinem Wissen, seiner Zeit und Erfahrung umzugehen, unser Sprungbrett in die Kunst des Fliegenfischens und hat unseren Lebensweg radikal beeinflusst.

deschutesAufgewachsen nah am Ozean in Far Rockaway im Staate New York, habe ich mich immer zum Angeln hingezogen gefühlt, aber zum Fliegenfischermann wurde ich erst irgendwann später im Leben. Als ich ungefähr 50 Jahre alt war, hat ein Freund von mir so nebenbei erwähnt, dass ich Fliegenfischen vielleicht wirklich genießen könnte, und dass ich mir das mal ansehen sollte. Kurz darauf flogen Ariel und ich nach Oregon, um ihre Familie in ihrer Heimatstadt Gresham, einem Vorort von Portland, zu besuchen. Während unseres Aufenthalts liehen Ariel und ich uns das Auto ihrer Eltern und fuhren zu einem örtlichen Sportgeschäft, GI Joe’s. Wir gingen hinein und sahen eine umfassende Auswahl an Waren, die von Bällen und Trikots bis hin zu Jagdausrüstungen und Gewehren reichten, aber genau in der Mitte des Geschäfts befand sich ein Stand mit Fliegenfischspulen und Fliegenfischangeln. Ich bemerkte sofort, dass auch wenn es zumindest einige Ähnlichkeiten zu den Spinnangeln an die ich gewöhnt war gab, diese hier ganz offensichtlich anders waren. Ein junger Mann kam hinter dem Tresen hervor. Er war mittelgroß, schlank, mit dickem, dunklen Haar und mit einem blauen Hemd und Chinos bekleidet. Auch wenn er jung war – fraglos nur ein oder zwei Jahre raus aus der High School – als er mich fragte, „Kann ich Ihnen helfen?“ dachte ich, dass er das sehr wahrscheinlich konnte.

„Wie ist dein Name?“ fragte ich.

“Gil.”

„Weißt du Gil, ich bin am Fliegenfischen interessiert weiß aber wirklich nichts darüber.“ Ich schaute auf die Angeln, Spulen, Leinen und anderes Zubehör,, welches vor mir aufgebaut war, und sagte, „Wenn Geld keine Rolle spielt, was würdest du mir empfehlen zu kaufen, um anzufangen?“

„Was willst du angeln?“ fragte er

„Ich weiß nicht. Was gibt es denn?“

„Also es gibt Forelle und Regenbogenforelle,“ antwortete er.

„Ich denke dann wird es Forelle,“ sagte ich. „Die haben wir oben in New York wo ich lebe.“

Gil war tatsächlich sehr sachkundig. Geduldig erklärte er einige der grundlegenden Unterschiede zwischen Spinn- und Fliegenfischen – wie z.B. wenn man eine Spinnangel benutzt zieht das Gewicht des Köders die Leine hinter sich her. Beim Fliegenfischen aber hat die Fliege, so genannt weil sie ursprünglich konstruiert war fliegende Wasserinsekten zu imitieren, überhaupt kein Gewicht. Die Leine selbst, erklärte Gil, hat das Gewicht und indem man die Angel wie einen Hebel benutzt, zieht die beschwerte Leine die Fliege hinter sich her.

Ich weiß nicht, was mich dazu bewegt hat so geradeheraus mit diesem jungen Fremden zu sein. Vielleicht war es seine angeborene Freundlichkeit. Vielleicht war es seine Erfahrung, die meine so weit überstieg. Vielleicht war es seine Offenheit und Geduld. Was auch immer die Inspiration war, nachdem ich meinen aufregenden neuen Einkauf bezahlt und zusammengepackt hatte, legte ich beide Hände auf die Ecke des Tresens und sagte, „Würdest du mich zum Angeln mitnehmen?“
„Ja!“ sagte Gil. „Ich würde mich freuen!“

Ich erinnere mich nicht wie wir all die detaillierten Pläne machten. Aber ich weiß, dass Gil und sein Freund Rob begeisterte Fliegenfischer waren, und dass ich bevor ich den Laden verließ, Gils Telefonnummer hatte und ein Versprechen zu einem Ausflug zum Deschutes River in Ost Oregon.

Am nächsten Tag flogen Ariel und ich zurück nach Hause, wo wir in der Nähe von Woodstock, New York wohnten und das Ashokan Reservoir überblickten. Inspiriert von meinen frisch erworbenen Einkäufen fuhr ich zum nächsten kleinen Fliegenfischer-Laden in Phoenicia. Während ich dort stand, in das verwirrende Sortiment von Fliegen schaute, die man vielleicht brauchte um in dieser Gegend zum Fliegenfischen zu gehen, kam ein Mann in den Laden gelaufen und sagte, „Bin ich zu spät für den Kurs im Fliegenfischen?“ Als der Besitzer antwortete, „Nein, wir haben noch nicht angefangen,“ fragte ich hastig, „Kann ich mitkommen?“

An diesem Tag habe ich zum ersten Mal eine Fliegenfischangel ausgeworfen. Danach ging ich runter zum Fluss und fing meine erste Regenbogenforelle und ließ sie wieder frei. Aber um die Wahrheit zu sagen, der Fisch hatte mich am Haken. Ariel nahm kurz darauf einen Kurs und fing ebenfalls eine kleine Forelle – obwohl wir immer noch darüber lachen, dass sie ihren ersten Fisch hinter sich fing, als ihre Angel versehentlich dass Wasser bei einem „schlechten“ Wurf berührte und ein Fisch danach schnappte.

Innerhalb weniger Monate flogen Ariel und ich zurück nach Oregon, zu unserem Ausflug mit Gil und seinem Kumpel Rob. Es stellte sich heraus, das Rob bei einer Tombola ein Ruderboot gewonnen hatte, und er und Gil waren nicht nur vorbereitet, uns hinab zum Deschutes River zu bringen, sondern uns auch einen Übernacht-Campingausflug anzubieten. Nervös aber enthusiastisch, mit unserer brandneuen Ausrüstung inklusive Angelstiefeln, waren wir vorbereitet ein Abenteuer zu beginnen. Wir hatten keine Ahnung, dass es der Anfang eines Lebensstils würde, der uns schließlich um die ganze Welt bringen würde.

Vielleicht hatten Gil und Rob selbst exzellente Lehrer gehabt. Aber was auch immer der Grund war, sie waren extrem geduldig und freundlich mit Ariel und mir. Jahre später, fing ich endlich einen 180 Pfund schweren blauen Marlin mit einer Fliegenfischangel vor der Küste Costa Ricas, und Ariel hat viele Weltrekorde mit der Internationalen Game Fish Assoziation gefangen, inklusive des größten pazifischen Fächerfischs, der jemals nachweislich von einer Frau gefangen wurde. Die Dinge, die sie uns während dieser allerersten Tour beigebracht hatten, hatten wir gemeistert. Aber wir begannen sie tatsächlich zu lernen und sie korrekt von Beginn an zu lernen. Wenn zum Beispiel ein starker Fisch anbeißt, kannst du ihn nicht einfach sofort stoppen wenn sie davonjagen, weil sie ausbrechen wollen. Das stimmt für Forelle, aber auch für Marlin und Fächerfisch. Wenn du einen Fisch am Haken haben willst, kannst du deine Leine nicht durchhängen lassen, sonst werden sie die Fliege probieren und wieder ausspucken, bevor du eine Chance hast, die Leine straff zu ziehen. Ich erinnere mich tatsächlich daran, dass Gil Ariel bei diesem ersten Ausflug freundliche Ratschläge hierzu gab.

“Ariel, schau auf deine Flugschnur. Wenn der Fisch jetzt anbeißen würde, wärst du bereit?“

Ariel and FishSie sah die große, weite S Form der Leine, die sich träge den Fluss herunter aufrollte und konnte sehen, dass sie den Durchhang erst wieder aufrollen müsste, um für den Fisch bereit zu sein, wenn er die Fliege schnappen würde. Gegen Ende des ersten Tages hatten wir nicht nur Forellen gefangen. Als wir zu unserem Campingplatz kamen, ermutigten uns Gil und Rob weiter zu angeln, während sie ein Zelt für uns aufbauten und Schlafsäcke, die sie für uns mitgebracht hatten, bereit legten. Dann bereiteten sie uns eine Mahlzeit über einem Campingfeuer zu. Auch wenn wir für die Lebensmittel bezahlt hatten, sagten beide, Gil und Rob, als Bezahlung wollten sie… absolut nichts. Am Ende unseres Abenteuers, fragten wir noch einmal, da wir ihnen etwas geben wollten, aber das Paar sagte nein, es wäre nicht legal. Sie waren keine Fremdenführer und sagten, sie könnten kein Geld akzeptieren für diesen Ausflug – es musste ein Ausflug unter Freunden sein.

Innerhalb der letzten etwas mehr als 20 Jahren waren Ariel und ich unterwegs um viele Fische zu fangen, große und kleine. Wir reisten von Alaska zur Spitze Südafrikas, von einem Fluss in New Mexiko,zu Tiefseefischen in Costa Rica, von den Seychellen vor der Küste Afrikas zu den Fjorden von Quebec. Ich verlor den Kontakt zu Gil für viele Jahre. Ich versuchte ihn über seine Familie zu finden, aber schaffte es nie mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ich wollte ihn und Rob wissen lassen, wie dankbar ich war und immer noch bin, für all das, was sie mir gegeben hatten. Und ich wollte sie wissen lassen, was für einen Unterschied sie in meinem Leben bewirkt hatten. Ich war mir absolut sicher, sie hatten keine Vorstellung davon, welchen Einfluss ihre Freundlichkeit haben würde.

Vor kurzem habe ich Gil und Rob auf Facebook gefunden. Rob gehört jetzt Water Time Outfitters und Gil arbeitet für ihn als Angellehrer. Ich muss sagen ich war überrascht, als ich neue Fotos von den beiden als Männer mittleren Alters mit ihren eigenen Familien sah. In meiner Vorstellung sind sie beide gerade mal aus der Schule heraus, großäugige Jugendliche, die Zeit, Enthusiasmus und die Bereitschaft hatten, uns so großzügig zu beschenken. Ich bin zutiefst dankbar für die Freundlichkeit von zwei Fremden.

Gil on BoatGil and Shya 2015Shya and Gil in River

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